Tierheime während Corona: Interview mit dem Tierheim Aschaffenburg

Tierheime während Corona

Die Corona-Pandemie und die Maßnahmen der Regierungen zur Eindämmung des Virus beeinflussen unser aller Leben drastisch. Jeder Mensch ist betroffen und mit den Konsequenzen konfrontiert, privat, beruflich und gesundheitlich. In einer Artikel- und Interview-Serie zu diesem Thema möchte ich über die Folgen berichten für Tiere und Tierheime. Im heutigen Interview hat sich Lukas Kneisel vom Tierschutzverein Aschaffenburg Zeit genommen und unsere Fragen beantwortet.

veganes-eiweiss.de: Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen für unser Interview! Bitte stellen Sie sich und Ihr Tierheim kurz vor.

Lukas Kneisel: Mein Name ist Lukas Kneisel. Ich bin im sechsten Jahr im Tierheim Aschaffenburg und habe direkt nach meinem Abitur hier angefangen. Mittlerweile bin ich Leiter der Tierpflege, in der insgesamt sechs Tierpfleger arbeiten, dazu Auszubildende, Mitarbeiter im Bundesfreiwilligendienst, Büroangestellte und einen Hausmeister. Jedes Jahr betreuen wird ungefähr 2.000 bis 2.500 Tiere, allerdings nie mehr als 300 gleichzeitig. Bei uns sind alle möglichen Tiere, Hunde, Katzen, viele Kleintiere, auch Wildtiere. Aufgenommen werden auch Exoten, aktuell leben bei uns Leopardengeckos, Kornnattern und eine Boa constrictor.

Seit 1889 existiert der Tierschutzverein in Aschaffenburg. Das „Tierheim am Schönbusch“ wurde 1975 eröffnet.

Die Epidemie hat auch direkt Auswirkungen auf die Tierheime. Man hört einerseits von einer Zunahme der Haustierabgaben, weil Menschen erkranken, andererseits scheint auch die Nachfrage insb. nach Kleintieren zu steigen. Wie sieht die Situation bei Ihnen aus?

Tierschutzverein Aschaffenburg

Wer mehr erfahren möchte über den Tierschutzverein Aschaffenburg und sein Tierheim, findet auf der Website des Vereins viele Informationen

Im Endeffekt ist unsere Situation genau so. Tatsächlich werden bei uns nicht mehr Tiere als üblich abgegeben, aber die Abgabetiere, die ankommen, sind in einem deutlich schlechteren Zustand. Oft sind die Tiere dehydriert, haben einen schlechten Impfstatus und sind nicht entwurmt. Die Tiere sind ungepflegt und teilweise auch wirklich krank, leiden zum Beispiel an Tumoren. In solchen Fällen müssen die Tiere permanent medizinisch versorgt werden.

Ansonsten vermitteln wir derzeit wirklich viel. Die meisten Tierheime sind eher leer, bei uns ist die Situation ähnlich. Das macht die Vermittlung ansich schwer – man muss einschätzen, ob der Tierhalter eher nur einen „Freund für den Lockdown“ sucht oder ein Tier für’s Leben. Wir sind uns aber relativ sicher, dass die Tiere, die wir vermitteln, auch langfristig bleiben. Eine gewisse Angst bleibt natürlich trotzdem, dass gerade im Sommer und mit zunehmenden Lockerungen die Abgaben wieder zunehmen, also in kurzer Zeit viele Tiere eintreffen. Es gibt Berichte vom Zoo Zajac, das ist der größte europäische Tiermarkt mit Sitz in Duisburg, die wörtlich von 30% mehr Hamsterkäufen sprechen. Die Zahlen sind schon erschreckend, wie viele Tiere da Tag für Tag verkauft werden, die ja auch irgendwo einen langfristigen Platz brauchen.

Haben Sie Angst vor der Zeit, wenn sich die Corona-Situation ändert und viele Tiere dann höchstwahrscheinlich wieder abgegeben werden?

Ja, auf jeden Fall. Wie gesagt: Wir sind gerade grundsätzlich recht leer vom Tierbestand. Richtig beeinflussen können wir aber natürlich nicht, wann und wie viele Tiere abgegeben werden. Aber wir sind froh, derzeit leer zu sein, weil wir damit rechnen, dass die Tierabgaben in Zukunft deutlich zunehmen.

Kommen mittlerweile mehr ausgesetzte Tiere zu ihnen als sonst?

Nicht unbedingt. In letzter Zeit waren es mehr Sicherstellungen und Beschlagnahmungen aufgrund schlechter Haltung. Das geht immer damit einher, dass mehr Menschen zu Tierhaltern werden.

Befürchten Sie, dass Menschen die Verantwortung und den zeitlichen Aufwand auf langfristige Sicht unterschätzen, wenn sie sich gerade in Lockdown-Zeiten ein Tier anschaffen? Wie können Sie dem begegnen?

Das ist mit Sicherheit der Fall. Man hat im Lockdown ja mehr Zeit zuhause als sonst. Sich ein Tier zu holen, ist aber eben keine kurzfristige Entscheidung für die nächsten Wochen, sondern eine, die Auswirkungen hat auf das Leben der nächsten Jahre und Jahrzehnte.

Auch die einhergehenden Kosten schätzen viele falsch ein. Ich sehe das auch bei mir selbst, denn es ist eine typische Tierpfleger-Krankheit, dass man auch zuhause selbst einen halben Zoo hat. Als Tierpfleger verdient man aber nicht viel. Man kann haushalten und bekommt das dann gut hin, muss aber ansonsten viel zurückstecken. Mein Hund hatte vor vier Wochen einen Bandscheibenvorfall. Lange Zeit stand eine Operation im Raum, die knapp 4.000 Euro gekostet hätte. Solche Kosten können entstehen und an sowas muss man denken, wenn man überlegt, sich ein Tier anzuschaffen. Bei uns im Tierheim hören wir oft die Frage, ob wir das Tier nicht güstiger abgeben können, weil die- oder derjenige gerade in Kurzarbeit oder arbeitslos ist. Derweil sind die Anschaffungskosten wirklich ein Klacks gegenüber den laufenden Kosten und dem, was unvorhergesehen auf einen zukommen kann.

Gibt es denn auch Folgen der aktuellen Situation für Haustierbesitzer direkt? Das Gassigehen ist während verhängter Ausgangssperren weitestgehend erlaubt, auch die Läden für Tierbedarf dürfen in der Regel öffnen. Quarantäne-Situationen können allerdings eine besondere Herausforderung sein, wenn man Kontaktperson ist oder selbst erkrankt. Wie kommen Tierbesitzer Ihrer Meinung nach durch die Krise?

Gute Frage. Meiner Meinung nach geht es nur mit einem guten Netzwerk aus Familie und Freunden, die helfen können. Jeder Tierbesitzer sollte im Hinterkopf haben, welche Möglichkeiten er im Quarantäne-Fall hat und wie er damit umgeht. Im Fall der Quarantäne sind die Regeln auch für uns als Tierheim nicht so einfach und man hat mit verschiedenen Ämtern und der Polizei zu tun, wenn man beispielsweise in Tier aus der Quarantäne holen will. Es ist teilweise auch schwierig mit den Lieferzeiten von Futter und anderem Tierbedarf. Für einen Hund oder eine Katze mag das noch einfach sein, da gibt es eine breite Auswahl und viele Händler. In der Terraristik oder Aquaristik sieht das eventuell aber anders aus, je nachdem, was man an Futter oder Futtertieren benötigt.

Die finanzielle Situation ist bei vielen Menschen angespannt. Das dürfte sich auch auf die Spendenbereitschaft auswirken. Außerdem waren und sind viele Veranstaltungen nicht möglich, wie sie typischerweise von Tierheimen durchgeführt werden: Spendensammlungen, Tag der offenen Tür, Vereinsfeste. Wie gut gelingt es Ihnen, diese Ausfälle aufzufangen?

Ja, das ist schwer für uns. Richtig aufzufangen ist so eine wegfallende Veranstaltung nicht. Solche Events haben vor allem die Wirkung, dass mehr Menschen auf uns aufmerksam werden, dass sie unseren Hof besuchen und sehen, wer wir sind und wie wir im Team arbeiten. Vor allem durch Feste und Besuche sieht man, was wir alles tun und wie gut es den Tieren bei uns geht. Dass das wegfällt, ist für uns ein großes Problem. Genauso wie die ausbleibende Laufkundschaft. Wir haben ja normalerweise reguläre Öffnungszeiten, zu denen uns regelmäßig Leute besucht haben, einen Futtersack vorbeigebracht oder einen Zehner in die Spendenbox geschmissen haben. Die Vermittlung dürfen wir glücklicherweise aufrechterhalten, natürlich nur nach Terminvereinbarung. Der Spendenrückgang deswegen ist schon deutlich.

Haben Sie Online-Veranstaltungen schon ausprobiert? Viele weichen nach Möglichkeit gerade darauf aus.

Konkrete Veranstaltungen gibt es online bei uns noch nicht. Wir haben aber viel für unsere Website und unseren Facebook-Auftritt getan. Dort stellen wir zum Beispiel tagesaktuell unsere Tiere vor, wir berichten außerdem viel von unserer Arbeit und versuchen so, auf die Situation aufmerksam zu machen und um Spenden zu bitten.

Wie kann man Sie und Ihre Arbeit unterstützen?

Man kann uns auf Facebook folgen und dort nachfragen und kommentieren. Einfach ein bisschen Gesicht und Interesse zeigen. Ansonsten haben wir unsere Wunschlisten auf der Webseite veröffentlicht, zum Beispiel auch die amazon-Wunschliste. Dort finden sich unsere Artikel des täglichen Bedarfs, die man direkt an uns schicken lassen kann. Und sobald es wieder erlaubt ist, freuen wir uns natürlich über alle, die bei uns vorbeikommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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